LEAD: Fühlen Sie als Frau an der Spitze eines Unternehmens eine Art gesellschaftliche Verantwortung?
Von Nessen: Grundlegend ist Nachhaltigkeit einer meiner zentralen Werte. Das geht von ökologischen Aspekten bis zur transparenten Kommunikation auf Augenhöhe. An der Spitze eines Unternehmens will ich gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und vorleben.
Und gleichzeitig sollten alle Menschen ihren jeweiligen Einflussbereich dazu nutzen, die Gesellschaft von morgen mitzugestalten. Im Hintergrund zu bleiben und sich seinen Teil zu denken, schafft nur Raum für destruktive Kräfte.
LEAD: Was halten Sie von gesellschaftlich motivierter Hilfestellung für Frauen im Job, wie zum Beispiel der Frauenquote?
Von Nessen: Ich war lange Jahre der Meinung, dass alleine herausragende Leistung unabhängig vom Geschlecht zum Erfolg führt. Die Fakten sprechen leider eine andere Sprache, zumindest wenn ich von einer gleichverteilten Leistungsbereitschaft und -fähigkeit ausgehe.
Denn dagegen stehen ernüchternde Quoten auf höheren Führungsleveln, nicht zuletzt auch im Vorstand oder Aufsichtsrat. Offensichtlich gibt es also nach wie vor Mechanismen, die zu dieser für Frauen nachteiligen Verschiebung führen.
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LEAD: Wie ist Ihre Einschätzung: Stehen sich Frauen bei der Verfolgung ihrer beruflichen Ziele oft selbst im Weg?
Von Nessen: Leider erlebe ich es trotz des hohen Entwicklungsstandes unserer Gesellschaft nach wie vor, dass Männer und Frauen gleichermaßen ihre Berufswahl aus den falschen Gründen treffen.
Häufig werden Einflüsse und Glaubenssätze von Familie oder Freundeskreis unreflektiert übernommen. Oder der Reiz von Macht, Status und Geld ist einfach zu groß. Ich ermuntere dazu, einen Beruf häufiger als Berufung zu verstehen. Dann können objektiv vorhandene oder subjektiv empfundene Hürden sportlich überwunden werden.
LEAD: Inwieweit spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Rolle?
Von Nessen: Familie und Beruf sind für Frauen noch nicht auf einfache Weise vereinbar. Es mangelt nach wie vor an den gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen. Vor allem behindern immer noch verkrustete Ansichten und eingefahrene Denkmuster Frauen an der konsequenten Verfolgung einer selbstbestimmten Karriere.
LEAD: Sie engagieren sich in Frauennetzwerken. Warum und was möchten Sie damit erreichen?
Von Nessen: Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass exzellente Leistungen offensichtlich nicht ausreichen, um die geschlechtliche Gleichverteilung der Weltbevölkerung auch in die Führungsetagen zu übertragen. Offensichtlich gibt es für Frauen nachteilhafte Mechanismen.
Auf diese möchte ich mit meinem Engagement hinweisen und dazu beitragen, sie zu beseitigen. Wenn Menschen ihre Leidenschaft konsequent verfolgen, kann Großartiges entstehen. Solange aber Vorurteile den Weg verbauen, möchte ich mich engagieren.