Andreas Schülke: Tue ich gerne, aber mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass der Einsatz auf eigene Gefahr erfolgt. Reaktanz - der Widerstand gegen wahrgenommene Beeinflussung - ist ein echtes Phänomen und die Intelligenz der eigenen Kunden sollte niemand unterschätzen.
Schnelle Tricks, die sich auch bei Amazon anwenden lassen, wären beispielsweise Verknappung ("nur noch 2 auf Lager"), Zeitdruck ("nur noch bis Freitag verfügbar"), Social Proof (Kundenrezensionen), Anchoring (Mentale Verankerung: Ausgangspreis/UVP bei Rabatten nennen) und Confirmation Bias (Menschen möchten eigene Annahmen bestätigen. Also: Erlebnis eines Produktes schon vor dem Kauf ausführlich beschreiben, Nachkaufmarketing mit Beilagen im Paket, Coupons für den nächsten Einkauf usw.).
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Andreas Schülke: Reaktanz könnte beispielsweise dann entstehen, wenn ich auf booking.com das dritte Pop-up wegklicken musste, das mich darauf hinweist, dass sich noch andere User das letzte verfügbare Hotelzimmer ansehen. Die Konsequenz könnte erstmal sein, dass ich die Buchung abbreche. Im schlimmsten Falle merke ich mir auch noch, wie schlecht ich mich auf der Webseite gefühlt habe und besuche sie nie wieder.
Zeitdruck zwingt den Nutzer zum schnellen Handeln. Etwa mit einem Hinweis wie "Dieses Angebot ist nur noch 2:53 verfügbar" (idealerweise mit heruntertickendem Timer).
Social Proof gibt die Sicherheit, dass viele andere Menschen schon dieselbe Entscheidung wie man selbst getroffen haben. Das funktioniert beispielsweise mit ausgewählten Testimonials (man denke an die Fielmann-Werbung) oder – für Amazon eher passend – mit massenhaften Kundenbewertungen ("653 Kunden bewerten das mit durchschnittlich 4,3 Sternen").
Beim Anchoring nennt man zuerst eine höhere Zahl und dann den Preis, wodurch der Preis niedriger erscheint. Das funktionierte in Experimenten selbst mit der Verkündung einer Zufallszahl. In der Realität sollte man eine Zahl mit relevantem Bezug nehmen, etwa die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers.
Der Confirmation Bias beruht auf der positiven Teststrategie, zu der Menschen neigen. Man denke an eine Familie, die nur Nutella als Nuss-Nougat-Creme kauft und fest davon überzeugt ist, dass das der beste Brotaufstrich ist. Mit dieser Strategie haben sie gar keine Chance, den wirklich besten Aufstrich zu finden, dafür müssten sie sich ja im Gegenteil durch alle angebotenen Streichcremes durchprobieren, möglichst eine Blindverkostung machen und dann entscheiden. Menschen machen es lieber anders herum. Sie entscheiden und suchen dann nach Belegen, die für die Entscheidung sprechen.
Andreas Schülke: Im Prinzip sind das mentale "Abkürzungen", die in 99 Prozent aller Fälle im Alltag gut für uns funktionieren und so erlernt wurden. Manchmal werden wir deswegen in der kommerziellen Welt zu Opfern von geschicktem Marketing.
Andreas Schülke: Sehr häufig bringen Händler ganz einfach zu wenig Empathie für Kunden auf. Für Händler dreht sich den ganzen Tag alles um die eigenen Produkte, was absolut nachvollziehbar ist.
Doch potenzielle Käufer interessieren sich gar nicht so sehr für das Produkt mit seinen Features, Materialeigenschaften oder die Entwicklungsgeschichte – viel öfter möchten sie wissen, was der Erwerb in ihrer Welt für sie bedeutet.
Welches Problem wird gelöst? Welche nervige Tätigkeit wird einfacher? Wie fühlt es sich an, das zu besitzen? Wie wird man angeguckt, wenn man das hat? Wem muss man sofort davon erzählen?
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