Entscheidender Faktor: Direkter Kundenzugang
Über 400 Unternehmen, die teilweise mit viel VC-Geld ausgestattet sind, streiten sich also auf Facebook, Instagram und Google um die gleichen Zielgruppen. "Ich glaube, die Start-ups werden früher oder später die Zeche zahlen müssen. Die mit VC-Geld gepushten Unternehmen werden beim Versuch zu skalieren herausfinden, dass die Zahlen am Ende unmöglich stimmen können", sagt Kartik Hosanagar, ein weiterer Wharton-Professor.
Daniel Gulati, ein Partner bei Comcast Ventures hat einen Namen für das Phänomen: "Customer Acquisition Cost ist die neue Miete." Im übertragenen Sinne bezahlen junge Unternehmen digitale Miete an Google und Facebook, damit die Kunden in ihre Online-Läden kommen; das widerspricht eigentlich dem sehr schlank gedachten DTC-Modell: Google und Facebook rücken einfach an die Stelle der Zwischenhändler. Das ist auch der Grund, warum viele der Start-ups auf Subscription-Modelle setzen. Kunden, die sie einmal gewonnen haben, können sie so an sich binden und mehr für die Akquisition ausgeben (was ja durch steigende Preise nötig wird).
Irgendwann muss Geld verdient werden
Das Zauberwort heißt: Customer Lifetime Value. Wie viel Geld gibt jeder Kunde im Durchschnitt langfristig für die Produkte des Unternehmens aus? Ein Weg, um eine möglichst hohe Customer Lifetime Value zu erreichen, ist das angesprochene Abo-Modell, das aber nur für günstige Produkte wie Rasierklingen, Socken oder Zahnbürsten funktioniert. Hersteller von teuren Produkten - die auf lange Sicht nur ein Mal gekauft werden wie Matratzen und Koffer - müssen sofort profitabel agieren. Comcast-Ventures Daniel Gulati sieht die größte Herausforderung darin, beide Werte, also Customer Lifetime Value und Acquisition Cost richtig einzuordnen: "Die Retention können die Unternehmen zu Beginn nur raten. Start-ups tendieren dazu, zu Beginn wiederholte Käufe übermäßig optimistisch zu sein."
Läuft es dann anders als gedacht, tendieren junge Unternehmen dazu, immer mehr Geld in das Marketing zu stecken, um immer neue Nutzer zu erreichen. "Zu Beginn unterschätzt man, wie viel es kostet, Menschen zum Kauf zu bewegen", sagt Wharton-Absolvent Stephen Kuhl, der das Sofa-Start-up "Burrow" gegründet hat. Wegen hoher Kosten musste er den Preis seines Sofas innerhalb eines Jahres von 795 US-Dollar auf 850, dann 950 und am Ende auf 1.095 US-Dollar erhöhen (von 675 auf 930 Euro). "Die Versuchung ist da, den bestmöglichen Preis zu bieten. Dann kommt der Moment, wo du sagst: 'Mist, wir können so nicht weitermachen. Wir müssen Geld verdienen'", sagt Kuhl.
Zurück zu klassischen Vertriebs- und Marketing-Kanälen
Teure Plattformen, überschätzte Wiederkaufsrate: In ihrer Verzweiflung gehen die DTC-Startups zurück zu klassischen Marketing-Kanälen. Sie werben in U-Bahnen, auf Plakatwänden, per Postsendung, TV, Radio oder in Podcasts. Gleichzeitig eröffnen die Unternehmen wieder Ladengeschäfte – wenn schon Miete zahlen, dann vielleicht mal reale. "Away"-Koffer können die Kunden mittlerweile genauso in Städten kaufen wie "Allbirds"-Sneaker, "Bonobos"-Klamotten und natürlich "Warby Parker"-Brillen. "Away" wollte nie in den klassischen Handel gehen. Gründer Steph Korey sagt heute: "Unsere Hypothese war komplett falsch. Ein Kunde nach dem anderen kam in den Shop und sagte, sie seien auf der Webseite gewesen, aber erst jetzt wüssten sie, wie leicht sich sieben Pfund wirklich anfühlen. Viele haben direkt gekauft."
Für einige Investoren ist diese Strategie laut Inc. Magazine aber ein rotes Tuch. Eröffnet ein Start-up viele Geschäfte, spreche das für eine fehlende skalierbare Online-Strategie. Wäre die vorhanden, würden die Unternehmen dort skalieren, statt all die Kosten für physische Geschäfte auf sich zu nehmen. Ein bis zwei Shops als PR-Geplänkel seien aber okay. Die Rasierklingen-Brand "Harry’s" aus dem Wharton-Kosmos verkauft seine Produkte mittlerweile auch im US-Supermarkt Target – was dem eigentlichen Geschäftsmodell komplett widerspricht. Die DTC-Revolution steht also vielleicht doch nicht an, wenn die Großen weiter fleißig einkaufen. Die Start-ups könnten zu einer Art Innovationshub werden. Zumindest sind sie eine gute Möglichkeit für die Walmarts und Unilevers dieser Welt, Kundendaten und E-Commerce-Expertise einzukaufen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei den Online Marketing Rockstars.