LEAD: Du hast viele Unternehmen beraten. Hast du häufig erlebt, wie Angestellte sich Ratschlägen von außen verweigern?
Samuel: Zu denken, man könnte sich irgendwie erneuern oder innovativ sein, ohne richtige Risiken einzugehen, ist gefährlich. Meiner Meinung nach ist das ein großes Problem für japanische und deutsche Unternehmen. Gerade die fat happy companies, denen es im Moment noch gut geht. Wenn die sagen: Wir versuchen es mit ein bisschen Innovation, mit kleinem Risiko, dann wird schon alles ok sein – dann entgegne ich: Das stimmt leider nicht. Dazu ändert sich die Welt viel zu schnell.
LEAD: In deinen Arbeiten definierst du Scheitern als „eine Abweichung vom erwarteten oder gewünschten Ergebnis“. Dann kann Scheitern also auch etwas Positives bedeuten?
Samuel: Nehmen wir zum Beispiel den TB-303, einen Synthesizer der Firma Roland aus Japan. Als der in den 1980er Jahren rauskam, war das ein Flop. Das Gerät war viel zu kompliziert, das Handbuch dick wie ein Telefonbuch. Und der Sound war merkwürdig. Aber später haben ein paar Musiker den 303 wiederentdeckt, auf dem Flohmarkt. Der Sound wurde typisch für Acid House. Finanziell also ein Reinfall, aber es hat ein Musikgenre maßgeblich beeinflusst.
LEAD:Früher hat man kranke Patienten zur Ader gelassen oder Blutegel eingesetzt. Sind das auch Beispiele für gescheiterte Technologien? Oder ist das die natürliche technische Entwicklung?
Samuel: Die Mediziner früher hatten keine andere Möglichkeit. Von daher ist das natürlich eine andere Qualität des Scheiterns, als wenn eine Zahnpastafirma wie Colgate plötzlich Tiefkühl-Lasagne herausgibt. Das Entscheidende ist: Man hat daraus gelernt. Blutegel werden in der Medizin auch heute noch eingesetzt, die Technik musste nur verfeinert werden. Der Aderlass dagegen ist verschwunden, ein ganz normaler Prozess. Ob ein Unternehmen ein neues Produkt macht, ein Parlament ein neues Gesetz oder ich mich persönlich verändern will – es gibt immer Updates, um alte Versionen zu korrigieren. Das ist Evolution. Selbst unsere Existenz verdanken wir den Millionen von Mutationen, die sich eben nicht durchgesetzt haben. Insofern ist das Scheitern etwas Produktives, denn es geschieht immer für den Fortschritt. Ob nun absichtlich oder nicht.
LEAD: Gibt es Beispiele von Ländern, Firmen, Organismen, die nie gescheitert sind?
Samuel: Während der Finanzkrise hieß es, manche Banken seien too big to fail. Undenkbar, dass das System ohne sie weiterexistieren könnte. Solche Gedanken haben wir alle. Ich kann mir zum Beispiel keine Welt ohne Google vorstellen. Aber irgendwann wird es verschwinden, aufgekauft von einem anderen Konzern oder einer Organisation. Wer nicht scheitert, erneuert sich nicht. Wer sagt, Scheitern ist keine Alternative, ist ignorant. Schau dich um: Es war schon immer eine.
LEAD: Wo scheitert man am spektakulärsten?
Samuel: Wenn es um Innovationen im Gesundheitswesen geht, wird es kritisch. Wenn Unternehmen wie Microsoft oder Apple irgendetwas nicht hinkriegen, dann kostet das Geld. Aber wenn im Gesundheitswesen etwas schiefgeht, kann das den Patienten direkt schaden. Andererseits müssen Staaten das Risiko eingehen. Sie haben ja keine Wahl.
LEAD:Warum interessieren uns Verlierer so viel mehr als die Gewinner?
Samuel: Die Geschichten vom Scheitern sind echter, unverfälschter. Jeden Tag bekommen wir so viel Mist von Unternehmen vorgesetzt, von PR-Abteilungen und Pressesprechern. Immer geht es um Erfolg. Wir hören jeden Tag, wie man besser, schneller, effizienter sein kann, nicht nur im Berufsleben. Es geht auch darum, wie man besser abnehmen kann, schöner, sportlicher, attraktiver wird. Wir werden ständig gefüttert mit diesen Geschichten und wir haben es satt. Das Leben ist keine Erfolgsgeschichte. Wir wurden alle in eine Welt des Scheiterns geboren. Mit dem Scheitern können wir uns identifizieren und es ist leichter, davon zu lernen.
LEAD: Geht es im Museum wirklich ums Lernen? Oder auch um Schadenfreude?
Samuel: Natürlich kann man darüber lachen, wenn global player wie Coca Cola scheitern. Aber die Botschaft des Museums ist: Es hat keinen Sinn, das Scheitern unter den Teppich zu kehren und zu hoffen, dass es verschwindet. Lasst uns draufschauen, verstehen, lernen. Das zu sehen, ist fast therapeutisch. Wenn die Großen es schon nicht hinkriegen, kann ich als kleines Individuum auch ein Risiko eingehen. Ich glaube, dieser Lerneffekt ist es, der das Museum für die breite Öffentlichkeit interessant macht.
LEAD: Viele können aber auch nur sehr lässig mit ihrem Scheitern umgehen, weil es am Ende wieder nur eine Anekdote auf dem Weg zum Erfolg war.
Samuel: Ja, das bleibt hängen, bei den vielen failure conferences, den Fuck-up-nights, selbst bei den großen Tech-Konferenzen. Einmal bist du halt erfolgreich, dann ist alles, was vorher war, ok. Der Wendepunkt macht die Geschichte interessant. Natürlich könnte jemand auch erzählen, wie er alles verbockt hat. Es gibt unzählige Beispiele davon. Aber so jemand bekommt natürlich keine Bühne auf einer großen Konferenz. Trotzdem sollte man sich das öfter auch mal vor Augen führen: Scheitern ist Scheitern. Punkt. Es gibt da keine Verlängerung in den Erfolg.
LEAD: Hast du selbst Angst davor?
Meine Arbeit im Museum hat mir die ein wenig genommen. Ich verbocke ständig etwas, eigentlich die ganze Zeit. Nicht aus Absicht. Und natürlich tut es weh, natürlich ist es peinlich, gerade wenn man Zeit und Geld investiert hat. Aber es muss ja nicht immer gleich eine Katastrophe sein. Und man weiß nie, ob nicht doch etwas Gutes herauskommt. Als ich vor ein paar Jahren die Idee für das Museum hatte, hab ich sofort eine Domain gekauft, mich blöderweise aber vertippt: musumoffailure.se. Hat natürlich auch seinen Charme, aber wir wollten ja auch gefunden werden im Internet. Mal sehen, was ich jetzt damit mache. Vielleicht drucke ich das ja noch auf T-Shirts.
Diese und weitere Themen findest du in der neuen LEAD ab Mittwoch am Kiosk oder online.