Klauen ist unmöglich, alles wird berechnet
Das Einkaufserlebnis habe sich wie Ladendiebstahl angefühlt, schrieb die New York Times - zumindest bis wenige Minuten nach Abschluss die Rechnung von Amazon im E-Mail-Postfach landete. Tatsächlich etwas zu klauen, sei schwierig: Ein Viererpack Softdrink-Dosen, den der New York Times-Reporter noch im Regal in eine Tüte einwickelte und sich unauffällig unter den Arm klemmte, wurde trotzdem berechnet.
Im Angebot von "Amazon Go" sind den Medienberichten zufolge Salate, fertige Gerichte, Kochboxen, frische Lebensmittel, Getränke sowie Snacks einer Marke des von Amazon gekauften Bio-Supermarkts Whole Foods. Die Preise seien auf Supermarkt-Niveau. Gibt es einen Fehler oder ist man unzufrieden mit einem Artikel, wird der Kaufpreis erstattet - ohne dass man die Ware zurückbringen muss.
Die Eröffnung des Ladens war bereits vor rund einem Jahr erwartet worden. Laut Medienberichten hatte die Technologie jedoch Probleme, bei größeren Menschenmengen den Überblick zu behalten. Diese seien inzwischen behoben, hieß es. Schon vor Monaten war zu lesen, den Härtetest habe die Technologie bestanden, als eine Gruppe von Mitarbeitern in gleich aussehenden Kostümen als Pokémon Pikachu verkleidet reingeschickt worden seien.
Amazon "Go" als mögliches Expansionsmodell
Obwohl das Geschäft ohne Kassierer auskommt, hat es den Medienberichten zufolge trotzdem diverse Mitarbeiter: Mehrere bereiteten die Salate, andere fertigten Gerichte und befüllten die Regale, einer stehe zur Begrüßung am Eingang, ein weiterer kontrolliere das Alter am Regal mit alkoholischen Getränken.
Zu den Herausforderungen des Konzepts gehöre, sehr ähnliche Produkte auseinanderzuhalten - zum Beispiel Yoghurt-Becher in verschiedenen Geschmacksrichtungen. Erschwerend komme hinzu, dass die Käufer meist Erkennungsmerkmale mit ihren Händen verdecken.
Amazon betrieb bisher mehrere Buchläden in den USA. "Amazon Go" gilt als mögliches Modell für eine Expansion des Online-Händlers bei stationären Geschäften mit Unterstützung moderner Technologie. Es gebe allerdings keine Pläne, die Technik von "Amazon Go" in den Whole-Foods-Läden einzusetzen, sagte Amazon-Managerin Gianna Puerini der New York Times.
Online-Lebensmittelhandel stagniert
Auf dem anderen Feld, das Amazon im Lebensmittelhandel bespielt, herrscht Stagnation. Der Online-Handel spielt im Food-Bereich in Deutschland bislang kaum eine Rolle, obwohl viele glaubten, der Start des Lebensmittellieferdienstes Amazon Fresh vergangenen Mai würde dies ändern. Tatsächlich liegt der Marktanteil des Online-Handels bei Lebensmitteln hierzulande nach wie vor bei nur rund einem Prozent.
Amazon legt beim Ausbau seiner Lebensmittel-Aktivitäten in Deutschland bisher ein eher geruhsames Tempo vor. Bislang ist Amazon Fresh nur in Berlin, Hamburg und München am Start. Doch wuchs die Zahl der angebotenen Artikel immerhin von mehr als 85 000 beim Start in Berlin auf inzwischen mehr als 300 000 in München.
Amazon sei bereit, auf Jahre hinaus auf Profite zu verzichten, um einen Markt zu erschließen und beweise dies einmal mehr auf dem deutschen Lebensmittelmarkt, meint der E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Am Ende werde Amazon damit erfolgreich sein, prognostiziert der Branchenexperte: "Der Online-Anteil beim Verkauf von Lebensmitteln kann in den nächsten zehn Jahren zehn Prozent erreichen. Wie es heute aussieht, wird sich Amazon mindestens 50 Prozent davon sichern. Wenn Rewe und Edeka nicht bald wieder Gas geben, könnten es sogar 80 Prozent werden."