LEAD: Wenn der Mensch einen Charakter erfindet, macht er das mit Hilfe seiner Fantasie. Eine KI hat jedoch keine Fantasie. Wie macht das also die KI?
Daniel: Das ist im Prinzip Wahrscheinlichkeitsrechnung und Mathematik. Letzten Endes liegen die Mustererkennung und die Erkennung von Beziehungen zwischen einzelnen Bausteinen dahinter.
Michael: Während der Mensch überraschenderweise immer mal wieder in eine emotionale Falle tappt, kennt der Rechner keine Emotionen und auch keine Überraschungen. Aber er weiß, was eine Überraschung ist. Er merkt sich also den Kontext einer emotionalen Begebenheit und wendet sie punktgenau an.
LEAD: Heißt das nicht letzten Endes, dass ich der KI Gefühle beschreibend beibringen muss
Daniel: Ja, das kann man mit Beschreibungen machen. Wir setzen aber mehr auf freies unüberwachtes Lernen. Wir geben der KI nicht vor, was eine Emotion ist. Sondern die KI lernt das aus bestehenden Textdokumenten. Das heißt, die KI lernt, welche Inhalte auf welchen Inhalt folgen müssen.
LEAD: Kann die KI auch aus ironischen Texten lernen?
Michael: Gute Frage. Nach dem aktuellen Forschungsstand kann das Machine Learning nicht. Schon Menschen tun sich ja schwer Ironie und Satire eindeutig zu erkennen.
Daniel: Das können wir so gar nicht beantworten und in unserer ella-KI können wir das aktuell auch nicht berücksichtigen. Theoretisch ja, mit der entsprechenden Datenbasis. Praktisch müsste man das aber ausprobieren. Aktuell agieren wir in diesem Bereich jedoch noch nicht. Und bislang haben wir auch noch keine ironischen Texte eingelesen.
LEAD: Als seinerzeit das Privatfernsehen in Deutschland eingeführt wurde, hat das bis zu einem gewissen Grad zu einer Art Vereinfachung der Geschichten geführt, denn die Geschichten mussten ja den Geschmack der Masse bedienen. Stichwort "Dschungelcamp" oder "Bauer sucht Frau". Besteht die Gefahr, dass das Niveau der KI-Geschichten deutlich flacher wird?
Michael: Die Frage ist doch, ob dieser Wunsch nach Einfachheit nicht generell schon in den Menschen schlummert. Denkt doch nur an das Theater im 19. Jahrhundert. Da ging es um Unterhaltung und nicht unbedingt um tiefergehende intellektuelle Betrachtungen.
Daniel: Wir sind davon überzeugt, dass beides koexistieren kann. Das heißt, der größere Teil der Bevölkerung ist nachweislich mit leichter Unterhaltung zufrieden. Und nur ein sehr kleiner Teil ist an einer intellektuelleren, hintersinnigeren und vielschichtigeren Unterhaltung interessiert.
Michael: Ich glaube, es wird beides geben. Es wird auch Abstufungen dazwischen geben. Und es hat auch immer alles schon gegeben. Das Privatfernsehen hat im Grunde genommen dieses „Alles“ auf das Genre Fernsehen übertragen. Und wenn wir ganz ehrlich sind, hat es die seichte Unterhaltung auch immer schon im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gegeben. Nur beim Thema Information unterscheidet sich das dann ein wenig. Denn das Privatfernsehen interpretiert Nachrichten bisweilen ebenfalls als Unterhaltung. Insofern muss man zwischen Nachrichten und Unterhaltungssendungen differenzieren.
LEAD: Es könnte leichte Unterhaltung geben, sehr leichte Unterhaltung und anspruchsvolle Unterhaltung. Könnt Ihr Euch vorstellen, dass solche Kategorisierungen eines Tages relevant sind?
Michael: Das ist sicherlich machbar. Aber wir folgen ja kommerziellen Interessen. Und es ist auch eine Frage der Lernkurve. Wir schauen uns aktuell leichte Unterhaltung an. Wir setzen auf wenige Protagonisten. Und wir nehmen eine Vereinfachung der Handlungsstränge in Kauf. Und dann schauen wir die Machbarkeit an. Sicher wird es uns in den nächsten Jahren gelingen, dass die Geschichten komplexer und vielschichtiger werden. Und dann wird auch die Unterhaltung vielschichtiger.
LEAD: Testet Ihr eigentlich auch die Geschichten verschiedener KIs gegeneinander?
Daniel: Ja, wir testen unsere Geschichten, wenn auch noch nicht in der Öffentlichkeit. Dazu haben wir ein großes Team an externen Qualitätssicherern. Sie analysieren, in welche Richtung es geht und bringen die Erkenntnisse auch wieder zurück zur KI.
Michael: Und wenn die KI eine fertige Geschichte produziert hat, werden auch Lektoren diese Texte anfassen und eventuell auch korrigieren.
LEAD: Wenn wir einmal weg von der Technik gehen und fünf bis zehn Jahre in die Zukunft blicken: Welche neuen Berufsbilder werden sich um solche KIs bilden, die schöne Geschichten und korrekte News schreiben können?
Michael: Es werden sicher eine ganze Reihe von neuen Berufsbildern entstehen, von denen wir heute noch gar nichts wissen. Beim Aufbau von ella haben wir festgestellt, dass sich alleine im Bereich Informatik in den letzten Jahren hochspezialisierte Berufe entwickelt haben.
Daniel: Wir haben für das Projekt beispielsweise Computerlinguisten und Dateningenieure eingestellt. Letztere kennen sich mit großen Datenmengen aus und können sie auch aus mathematischer Sicht betrachten. Weiter beschäftigen wir Datenwissenschaftler, die sich mit dem Thema Daten eher forschend beschäftigen. Welche weiteren Berufsbilder sich daraus in Zukunft entwickeln werden, das muss man sehen.
Michael: Wenn Ihr euch allein den Bereich Marketing anseht, stellt ihr fest: Es hat sich eine ganze Reihe neuer Berufsbilder entwickelt, die mit der Digitalisierung zusammenhängen. Und so muss man sich das auch bei der KI vorstellen. Im Marketing sind beispielsweise neue Berufe entstanden, die nur entstanden sind, weil die KI schneller und komplexer denkt und daher auch schneller und genauer Informationen liefert als der Mensch.
LEAD: Bislang haben wir noch nicht über euer Geschäftsmodell gesprochen. Kann ich bei euch fertige Texte bestellen, aus denen ich dann ein Drehbuch, ein Buch oder ein Hörspiel machen kann und ihr liefert mir in einer Woche die fertige Geschichte?
Michael: Das Geschäftsmodell fußt auf zwei Pfeilern: Zum einen wollen wir Geschichten so produzieren wie wir sie aufgrund unserer Analyse für richtig halten. Diese wollen wir über eigene Plattformen und über Kooperationen auf den entsprechenden Marktplätzen wie beispielsweise Amazon und Google Books verkaufen.
Daniel: Die zweite Säule ist Software-as-a-Service. Wir wollen Partnern Zugriff auf die Software geben, so dass sie diese für ihre eigenen Geschichten nutzen können. Dazu wird es wahrscheinlich eine Web-Oberfläche geben oder eine API-Schnittstelle, über die man in Echtzeit andocken kann. Einsatzgebiete werden Merchandising und Content-Produktion sein.
LEAD: Und was würde so ein Software-Service kosten?
Michael: Bislang haben wir dafür noch keinen Preis. In unserem Businessplan haben wir Kooperationen stehen. Für die Geschichten, die wir über Amazon und Co. vertreiben wollen, haben wir einen Geschichtenpreis von drei bis sechs Euro pro 400-Seiten-Text kalkuliert - für die gesamte Serie. Und natürlich können Verlage unsere Geschichten in Lizenz drucken. Wir selbst werden jedoch keine Bücher drucken und nur digitale Produkte anbieten.
LEAD: Danke für das Gespräch.